Sonntag, 13. Juli 2014

Man müsste nur abschalten können...

Die Sommerferien sind kein schlechter Zeitpunkt, um abzuschätzen, wie weit man sich im persönlichen Alltag von der digitalen Maschinerie abhängig gemacht hat,  zum Beispiel durch Facebook oder Twitter, oder durch Forderungen des Arbeitgebers. Die mobile Kommunikation erlaubt zwar ein zeitunabhängiges und ortsungebundenes Arbeiten. Diese Flexibilität bringt manchem Unternehmen zwar unbestrittene Vorteile, birgt aber auch Gefahren, die für den einzelnen Mitarbeitenden sehr negative Folgen haben können.

Abschalten ist wichtig für die Gesundheit. Befreien Sie sich zumindest in den
Ferien von den digitalen Fesseln und geniessen Sie den Strand ohne Smartphone
oder Tablet.
Mit diesem Thema der kommunikativen Überforderung im Beruf hat sich kürzlich auch die Schweizer Kader Organisation (SKO) befasst und dazu die Meinung verschiedener Experten eingeholt. Einer davon ist der Präventivmediziner Georg Bauer von der ETH. Er erachtet die flexible Arbeitsgestaltung grundsätzlich als grossen Vorteil in einer Gesellschaft, die hohen Wert auf Autonomie und Selbstverwirklichung legt. Aber er sieht zunehmende Risiken und Gefahren:
“Schalten wir unsere modernen Kommunikationsmittel rund um die Uhr nicht mehr ab,
können wir auch innerlich kaum mehr abschalten“, warnt Bauer. Die Erholung kommezu kurz, die Regeneration bleibe auf der Strecke. Bauer weist auf eine niederländische Studie hin, die gezeigt hat, dass bei intensiven Smartphone-Nutzern das Depressionsrisiko deutlich erhöht ist.“
Das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der 24-Stunden-Verfügbarkeit sei zwar mittlerweile gestiegen, schreibt die SKO. Doch ein Umdenken zeichne sich erst ansatzweise ab. Es seien vor allem die grossen Unternehmen, die das Problem systematisch angingen, den KMU hingegen fehlten häufig die dazu notwendigen personellen Ressourcen“, sagt Monica Basler, vom Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention der Hochschule Luzern.
 In Deutschland hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die 24-Stunden-Verfügbarkeit schon vor zwei Jahren zum Politikum gemacht. Sie will, dass die Unternehmen per Gesetz verpflichtet werden, ihre Mitarbeitenden vor Dauererreichbarkeit zu schützen. In ähnliche Richtung zielt ein kürzlich unterzeichnetes Abkommen zwischen den Sozialpartnern der zwei grossen französischen IT-Branchenverbände Syntec und Cinov. Es sieht für die Arbeitgeber eine Pflicht zum Abschalten der Mailbox-Server nach 18 Uhr vor. Diese Praxis hat der Autokonzern Volkswagen schon vor drei Jahren eingeführt.
Doch es sind nicht nur die Arbeitgeber, die uns digital bedrängen. Die Freizeit kann noch schlimmer sein. Der Journalist und Literaturwissenschaftler Tomasz Kurianowicz zog kürzlich in der NZZ ein ernüchterndes Fazit:

“Wenn wir den Zug der Zeit nicht verpassen wollen, müssen wir permanent umschulen. Facebook und Twitter, Google und Apple zwingen uns dazu. Doch leider macht uns das weder schlauer noch glücklicher. Schlimmer noch: Der Gang durch Einkaufszonen und Schulen, wo jeder Zweite mit seinem Smartphone beschäftigt ist, beweist, dass wir uns voneinander entfernen. Der Mut zur Begegnung schwindet. Der Narzissmus obsiegt. Die seelische Verbarrikadierung nimmt zu. Wir verabschieden uns in eine digitale Welt, die uns alle virtuellen Freiheiten bietet, ohne dass dies mit einem realen Risiko verbunden wäre. Gegen diese Verblendung, gegen diese Abhängigkeit liesse sich durchaus etwas tun. Man müsste nur abschalten können.“

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