Dienstag, 27. Oktober 2015

Medienqualität: Macht die Digitalisierung dumm?

Noch nie in der Geschichte der Menschheit war der Zugriff auf Informationen so einfach wie heute. Die Digitalisierung ermöglicht den Abruf von Wissen in Sekundenschnelle, dem Umfang  sind kaum Grenzen gesetzt. Trotzdem ist der Wissensstand breiter Bevölkerungsschichten ernüchternd. Wir schwimmen in der Informationsflut und fischen am liebsten nur heraus, was uns passt. In der Schweiz zum Beispiel, nutzen junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 29 Jahren immer weniger Informationsmedien, die echte News servieren. 

Der Informationsjournalismus hat ein Nachwuchsproblem – und zwar nicht bei den Journalisten, sondern beim Zielpublikum. Zu diesem Befund kommt das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich in seiner sechsten Ausgabe des Jahrbuchs Qualität der Medien. So nahm zwischen 2009 und 2015 der Anteil jener jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren deutlich ab, die sich regelmässig über professionelle Informationsangebote von Presse, Radio oder Fernsehen informieren. Im Jahr 2015 geben beispielsweise bereits 56 Prozent der befragten jungen Erwachsenen an, nie eine Abonnementszeitung zu nutzen. 2009 lag der Wert noch bei 35 Prozent. Bemerkenswert ist, dass dieser Nutzungsrückgang traditioneller Informationsangebote nicht durch die Nutzung professioneller Online-Newsangebote kompensiert wird. Stattdessen informieren sich Junge zunehmend nur noch über alternative Kanäle, allen voran über Social Media, oder sie gehen als Informationsnutzer ganz verloren, weil sie primär Unterhaltungsangebote konsumieren. Wer Facebook und Twitter kennt, weiss, dass Social Media vor allem News servieren, die von minderer Qualität sind. Oft handelt es sich dabei um unterhaltende, emotionsgeladene oder ereignisgebundene, also wenig einordnende Kurzmeldungen. Die Autoren des Medien-Jahrbuchs halten fest, dass die Digitalisierung die Informationsmedien auch finanziell schwäche:
Die Qualität der Schweizer Medien variiert stark: Das neue Schlusslich bildet
Blick am Abend.                                 Quelle: fög - Jahrbuch Qualität der Medien
“Die Digitalisierung und die Globalisierung wirken sich in mehreren Facetten auf die Schweizer Medien aus und tragen zur Strukturschwäche des Informationsjournalismus bei. Die Zahlungsbereitschaft für Online-News ist weiterhin gering, die Online-Werbeeinahmen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück und die Aversion der Nutzer gegenüber Werbung auf Onlineplattformen ist ausgeprägt. In wachsendem Ausmass entwickeln sich die Werbemärkte zudem zu einer Domäne der globalen Tech-Giganten Google und Facebook, die neuerdings auch ins publizistische Geschäft vorstossen, um den digitalen Fingerabdruck ihrer Nutzer zu vervollständigen und so für die Werbewirtschaft noch attraktiver zu werden. Folglich vergrössern sich die Finanzierungsschwierigkeiten des Informationsjournalismus weiter.“
 Die Strukturschwäche im Informationsjournalismus wirke sich messbar negativ auf die Medieninhalte aus, sagen die Forscher. Bei den meisten der untersuchten Medientitel zeige sich seit 2010 eine insgesamt sinkende Qualität. Unter dem finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcenmangel im Informationsjournalismus leide die Einordnungsleistung am stärksten. Dadurch würden die Bürgerinnen und Bürger bei der Interpretation komplexer politischer, sozialer und ökonomischer Zusammenhänge immer häufiger allein gelassen. 
Selbstverständlich gibt es zahlreiche Kritiker, die sich der Meinung der Medienforscher nicht anschliessen. Darunter sind, wen wundert’s, vor allem Journalisten. So auch der Blogger und Journalist Reda El Arbi, der den Jahrbuchautoren vorwirft, den Medienkosumenten vorzuschreiben, was sie zu konsumieren hätten.  Es sei einfach, den Leser dafür zu beschimpfen, dass er die Geschichten, die man schreibe, nicht lesen wolle:
“Die Imhof-Jünger haben sogar ein Mittel gegen diese Infamität des Lesers: Sie nennen es «Medienkompetenz» und wollen den Kids beibringen, was «guter» Journalismus ist. Kurz: Sie wollen junge Menschen bereits in den Schulen dazu prägen, gefälligst das Produkt zu kaufen, das man für sie vorgesehen hat. Das ist paternalistisch und arrogant…“
 Vielleicht ist es das tatsächlich. Die Liste der meistbesuchten Websites der Schweiz zeigt allerdings deutlich, worauf die Medienkritiker herauswollen. Dass 20 Minuten und Blick an der Spitze der Medienwebsites stehen (abgeschlagen hinter Facebook, Google und Youtube) hat wohl mehr mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner im Journalismus zu tun, als mit Arroganz und Paternalismus.

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