Donnerstag, 10. Dezember 2015

Das Telefon klingelt - und niemand geht ran

Telefonieren ist aus der Mode gekommen – und zwar bestimmt nicht deshalb, weil keine Telefone zur Hand sind. Vielmehr scheint in den letzten Jahren ein gesellschaftlicher Konsens überhandgenommen zu haben, der Telefonieren als eher unangenehm einstuft. Deshalb klingelt das Telefon immer öfter in den leeren Raum oder in die Hosentasche; es geht einfach niemand ran.

Das Telefon - ein Kommunikationsinstrument, das immer weniger benutzt wird.
                                                                                                                       Bild PfW
Dass immer weniger Menschen Anrufe beantworten, deren Nummern sie auf dem Display nicht erkennen, ist nicht weiter verwunderlich. Telefonverkäufer, die uns meistens am Feierabend und oft genau zur Essenzeit belästigen, stehen ganz oben auf der Liste der unerwünschten Anrufer. Dies ist aber nur ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen Telefonanrufe nicht mehr oder nur ungern beantworten.
Seit es in Büros und Beamtenstuben Voicemail-Boxen gibt, fühlen sich viele Angestellte nicht mehr gezwungen, Ihr Telefon zu beantworten – und das gleiche gilt auch für das private Telefon oder Handy, auch wenn der Anrufer durchaus bekannt ist.  Der Grund dafür liegt auf der Hand: Telefonische Kommunikation erfordert schnelles Reagieren und Mitdenken. Ausserdem ist die synchrone Kommunikation oft unangenehm, weil sie uns während einer anderen Tätigkeit unterbricht. Wieviel einfacher ist es  doch, eine Nachricht abzuhören, die der Anrufer hinterlassen hat, und sich dann in aller Ruhe eine Antwort darauf zurecht zu legen. Zitat aus einem Artikel auf welt.de:
“… klingelnde Telefone werden wie potenzielle Atombomben beäugt und oft ignoriert, leise gestellt, danach mit einer Mail oder WhatsApp-Nachricht beantwortet. Diese Entwicklung lässt sich auch in Zahlen belegen, 2010 war mit in Summe 295 Milliarden Minuten abgehender Telefonate das Spitzenjahr der Sprachtelefonie. Seitdem sind die Telefonate im Festnetz und Mobilfunk um insgesamt 5 Prozent gesunken. […] Wer anruft, scheint irgendetwas zu wollen, was komplizierter ist, sich nicht gut aufschreiben lässt, Absprachen bedarf. Das Klingeln des Telefons kündigt also scheinbar unheilvoll etwas an, was nun Zeit kosten könnte. Und Energie. Da fällt es leichter, den Anrufer zu ignorieren, ihn damit indirekt doch wieder auf andere Kommunikationswege zu zwingen. Auch weil da Angst vor Überforderung ist: Mit ungefilterten Emotionen, die eine unmittelbare Reaktion verlangen, möchten viele Menschen nicht konfrontiert werden - weil man über seine Antwort nicht erst nachdenken kann, bevor man dann eine wohlformulierte Textnachricht abschickt.“
Tatsächlich erfordern Telefonanrufe auch mehr Aufmerksamkeit: Oft ist es sogar notwendig, während eines Gesprächs Notizen zu machen. Wer kennt nicht jene Kommunikationspartner, die da schon überfordert sind und am Ende des Gesprächs verlangen, dass man ihnen doch schnell die besprochenen Eckdaten per E-Mail zustellt.
Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass immer mehr Menschen im Kommunikationsverhalten eine “Ideologie der individuellen Freiheit“ verfolgen, wie das der französische Autor  Jacques Attali schon vor Jahren genannt hat. Er führt die wachsende Scheu vor dem Telefonieren ganz einfach darauf zurück, dass sich viele Menschen nur noch für sich selber interessieren und daher in ihrem Narzissmus nicht gestört werden möchten, weder von einem Klingelton noch von irgendwelchen dringenden Problemen ihrer Mitmenschen.



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