Montag, 25. Mai 2015

Marktwirtschaft, Gier und die digitale Gesellschaft

Wo hört die nutzbringende Marktwirtschaft auf, und wo fängt die Gier an? Das Internet hat Geschäftsmodelle möglich gemacht, die das Potential haben, in kürzester Zeit althergebrachte Geschäftsmodelle zu zerstören und traditionell gewachsene soziale Strukturen zu bedrohen – wie zum Beispiel den Fahrdienst Uber oder den Vermietungsdienst Airbnb. Davon profitieren vorerst mal die Kunden – durch ein besseres, grösseres und günstigeres Angebot – genau wie es im Ökonomielehrbuch steht. Allerdings zeigt sich, dass das rasante Wachstum dieser Dienste auch drastische Folgen haben kann.

Sicht auf den Eiffelturm: Die Pariser Stadtverwaltung schätzt, dass bis zu 30'000
Wohnungen illegal über Airbnb vermietet werden.                                     Bild PfW
Das digitale Geschäftsmodell hat sowohl für Uber als auch für Airbnb zu enormem Wachstum geführt. Investoren glauben an ein gewaltiges Potential; Airbnb soll heute, sieben Jahre nach der Gründung, 20 Milliarden US-Dollar wert sein. Ähnliches gilt für Uber: Das Unternehmen ist sechs Jahre alt und wird gemäß Wall Street Journal bereits auf einen Wert von 41 Milliarden US-Dollar geschätzt. (Wie seriös solche Bewertungen sind, und wie sie zu Stande kommen, ist eine andere Geschichte, deren wir uns bei Gelegenheit annehmen werden.)
Beide Unternehmen funktionieren auf einer ähnlichen Basis: Sie vermitteln Dienstleistungen per digitalem Medium, die sehr gesucht sind und mit dem Smartphone, dem Tablet oder dem PC unkompliziert und günstig gebucht werden können. Ausserdem bedienen sie zwei Eigenschaften, welche einen grossen Teil unseres Verhaltens bestimmen: nämlich Bequemlichkeit und Preisbewusstsein – oder gar Geiz. Doch der Reihe nach.
Airbnb hat seinen Namen eigentlich von der Idee, bei jemandem auf der Luftmatratze zu übernachten – mit Frühstück. Wikipedia erklärt:
“Private Vermieter vermieten ihr Zuhause oder einen Teil davon unter Vermittlung des Unternehmens, jedoch ohne dass Airbnb rechtliche Verpflichtungen übernimmt. Von der Gründung im Jahr 2008 bis zum Juni 2012 wurden nach Angaben des Unternehmens mehr als zehn Millionen Übernachtungen über Airbnb gebucht. Kritik entzündete sich daran, dass viele der Vermieter keine Steuern auf ihre Einnahmen zahlen und dass sich nicht mehr nur private Gastgeber, sondern umfangreiche kommerzielle Strukturen dahinter entwickelt haben[…] Nach eigenen Angaben stehen auf der Website über eine Million Inserate in 190 Ländern zum Angebot.“
Tatsächlich scheint das Geschäft hervorragend zu funktionieren, auch wenn es hin und wieder mal schlechte PR gibt.
Nun regt sich aber in vielen Städten grundsätzlicher Wiederstand gegen jene, die über Airbnb kommerziell vermieten. Zum Beispiel in Paris, wie die Welt berichtet:
“Anwohner beklagen sich auch über Lärm, über rücksichtslose Gäste, die spätnachts ihre Parisbegeisterung hinausgrölen oder mit ihren Koffern durch kostbare Treppenhäuser rumpeln und die Wände zerkratzen. Fleischereien und Fischläden schließen, weil sich die neu gemischte Klientel im Viertel mehr für Andenken als für Rinderkoteletts und Steinbutt interessiert. Bäckereien verwandeln sich in Boutiquen, Apotheken in Restaurants. Und nur Touristen gönnen sich ein süßes Gebäckteilchen für sieben Euro, das eine Bäckereiboutique wie Profiterole Chérie verkauft, als wäre es Schmuck.
Am meisten aber wird der fortschreitende Verlust gewachsener Sozialstrukturen bedauert: "Man fühlt sich wie im Hotel", beklagt eine Bewohnerin der Rue Vieille du Temple, die am Musée Picasso vorbeiführt. Von den 40 Wohnungen in ihrem Haus sind inzwischen zehn regelmäßig an Touristen vermietet.“
Auch Uber, der Fahrdienst für Leute, die besseren Service und tiefere Preise suchen, als sie von einem registrierten Taxiunternehmen bekommen, hat Probleme. Taxifahrer wehren sich; inzwischen ist Uber vielerorts, vor allem in hochregulierten Ländern wie Frankreich oder Deutschland, wo Gewerkschaften Einfluss auf die Regierungen ausüben können, ganz  oder teilweise verboten. In den USA aber boomt das Geschäft, und Artikel, wie jener der heute Sonntag in der New York Times zum Thema publiziert wurde, kurbeln das Geschäft weiter an.
Trotz aller Versuche, den Markt einzuschränken, ist nicht anzunehmen  - und wohl auch nicht wünschenswert - dass derartige Unternehmen auf die Dauer in die Schranken gewiesen werden können, denn die User wollen nicht mehr darauf verzichten. Oder wie es John Naughton in der Britischen Zeitung The Guardian formuliert: “Bequemlichkeit macht Heuchler aus uns allen.“
Er hat wohl recht. Wenn uns jemand Bequemlichkeit bietet, dann nehmen wir sie meistens gerne an – auch wenn wir persönlich mit unserer Privatsphäre dafür bezahlen oder andere Menschen Nachteile dafür in Kauf nehmen müssen.

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